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Mut

 

Das Leben will nicht enden und sterben, sondern leben und ewig fortdauern. Daher sind alle lebendigen Organismen mit Alarmsystemen ausgestattet, die aktiv werden, wenn ihnen Gefahr droht. Dazu gehören vor allem Angst und Furcht. Dieses sinnvolle Alarmsystem wird aktiv, wenn wir - direkt oder indirekt - eine drohende Gefahr w­ahr-nehmen; es soll uns zu einer Rettungsaktion, bewegen, die entweder in Abwehr oder in Flucht besteht.

Hätten wir keine Angst bzw. Furcht, würden wir in dieser gefährlichen Welt bald Schaden nehmen oder untergehen. Daher kommen Menschen, die sich furchtlos in extreme Gefahrensituationen begeben, oft darin um. Oft wird der Mangel an Furcht als Mut bezeichnet; tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um große Naivität, aus der heraus die Gefahr falsch beurteilt wird.

Dagegen besteht Mut in der Überwindung einer Angst, die man tatsächlich verspürt. Ohne Angst gibt es keinen Mut und keine Helden.

Üblicherweise sprechen wir allgemein von Angst, genau genommen müsste man dabei aber zwischen zwei verschiedene Erscheinungsformen unterscheiden. Da ist einerseits die real begründete (Furcht), auf die man reagieren kann und muss, und andererseits die mehr oder weniger irreale, die irgendwelchen Fantasien und Vorstellungen entspringt. Die körperlichen Reaktionen sind aber in beiden Fällen gleich: die Psyche aktiviert zusätzliche Energie, damit wir uns entweder wehren oder fliehen können. Falls uns dies gelingt, empfinden wir keine Angst; andernfalls staut sich die Abwehr-/Flucht-Energie in unserem Inneren und erzeugt ein Gefühl der Enge, das wir als Angst bezeichnen. (Das Wort „Angst“ ist indogermanischen Ursprungs: anghu = „beengend“.) Diese innere Enge (Angst) gleicht dem Überdruck in einem Dampfkessel, der sofort sinkt, wenn „Dampf abgelassen“ wird. Das heißt: sobald wir die aufgestaute Abwehr-/Flucht-Energie dadurch verbrauchen, dass wir aktiv auf die Gefahr reagieren, lässt der innere Druck und die Angst verschwindet.

Solche Reaktionen sind jedoch bei den fantasiebedingten oder irrealen Ängsten nicht möglich, weil man ja gegen eine nur angenommene Gefahr nichts konkret unternehmen kann. Hierunter leiden viele Menschen, und zwar umso mehr, je fantasievoller und emotionaler sie sind und je schwächer ihre Verstandeskontrolle ist. Daher sollten wir, wenn uns die Angst überfällt, uns immer zunächst fragen, ob es wirklich so schlimm ist und ob wir nicht vielleicht wieder einmal in die Falle unserer Fantasie geraten sind.

Wir haben drei Möglichkeiten, auf die Gefahr zu reagieren: entweder wir wehren uns aktiv und furchtlos oder wir ergreifen angsterfüllt die Flucht. Diese beiden Reaktionsweisen sind in Bezug auf das Überleben gleichwertig und biologisch sinnvoll. Welche jeweils passend ist, hängt immer von den aktuellen Umständen ab. Die dritte Möglichkeit besteht in einer passiven Verhaltensweise, die sich auch bei Tieren beobachten lässt: wir reagieren überhaupt nicht, sondern lassen die Dinge laufen und ergeben uns in unser Schicksal – hoffend, dass es doch irgendwie noch gut ausgehen werde. In diesem Sinne schrieb Dietrich Bonhoeffer aus der Todeszelle: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag“.  

Thema von Floriplex Nr.19

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