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Entgegenkommen

 

Jede menschliche Gemeinschaft – ob groß oder klein - ist hierarchisch gegliedert und besteht aus Menschen, die gerne den Ton angeben und die Führung übernehmen, sowie anderen, die es vorziehen, sich führen zu lassen und im Hintergrund zu bleiben. Beide Menschentypen (die es in verschieden starker Ausprägung gibt) tragen auf sinnvolle Weise dazu bei, dass wir in geordneten, funktionierenden Verhältnissen leben können. Beide besitzen Fähigkeiten, die ihren Mitmenschen zugutekommen.

Betrachten wir hier einmal jenen Menschentyp, der aufgrund seiner Veranlagung dazu bestimmt ist, eine Führungsrolle zu übernehmen, d.h. seinen Mitmenschen Ziele, Wege, Problemlösungen zu zeigen oder sie aus Notsituationen zu retten. Dafür besitzt er im Idealfall Charakterstärke, Großzügigkeit, Vorbildlichkeit, Überlegenheit und Nachsichtigkeit.

Es kommt allerdings immer wieder vor, dass es solchen Menschen aufgrund ungünstiger Lebensumstände nicht gelingt, ihr positives Potential optimal zu entwickeln, so dass sie sich anderen gegenüber (z.B. Kindern, Ehepartner oder Angestellten) streng, diktatorisch oder intolerant verhalten. Oder dass sie, weil sie zu sehr von sich selbst und der Richtigkeit ihrer Ansichten überzeugt sind, es nicht vertragen, wenn man eine andere Meinung vertritt, ihnen widerspricht oder nicht „gehorcht“. Da sie meistens meinen, sie seien im Recht, suchen sie bei jedem Problem grundsätzlich den Fehler bei anderen.

Zwar ist diese Haltung nicht immer so ausgeprägt, aber Menschen mit diesem Charakter haben nun einmal den Hang zum Dominieren und Führen. Diese Fähigkeit ist in Notsituationen, in denen Autorität, Willenskraft und Durchblick gefragt sind, durchaus wertvoll. Sie kann aber unter ungünstigen Umständen ins Negative umschlagen und den betreffenden Menschen dazu treiben, rücksichtslos und evtl. sogar mit körperlicher Gewalt seinen Willen durchzusetzen.

Ein solches Verhalten kann man gelegentlich sogar bei entsprechend veranlagten Kindern beobachten, wenn man ihren Wünschen und Absichten zu großen Widerstand entgegensetzt. Autoritäre Eltern versuchen dann oft ihren Willen zu brechen. Doch das führt genau zum Gegenteil: er wird dadurch so gestärkt, dass er schließlich den Charakter des Kindes beherrschen und es unfähig zum Nachgeben, zum Kompromiss und zur Unterordnung machen kann.

Für jemanden mit diesem Charakter wäre es eine große, persönliche Leistung, wenn er - sich in dieser Beschreibung selbst erkennend - bereit wäre, über den eigenen Schatten zu springen. Das heißt: sich selbst etwas mehr zurückzunehmen, sich um mehr Freundlichkeit und Fairness zu bemühen und nachsichtiger oder verständnisvoller auf die (vermeintlichen?) Fehler anderer zu reagieren. Das Privileg der Starken besteht ja darin, fair und großzügig zu den Schwächeren zu sein, ihnen auch einmal den Vortritt zu lassen und evtl. sogar auf eigene Rechte zu verzichten.

Wir sollten nie vergessen, dass jeder Mensch aus seiner persönlichen Sicht immer Recht hat und dass gutes menschliches Miteinander nur möglich ist, wenn wir uns gegenseitig respektieren und ernst nehmen. Druck erzeugt immer Gegendruck, wogegen Freundlichkeit freundlich macht.

(Thema von Floriplex Nr.1)

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