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Gutes Gewissen

Das Thema „Schuldgefühle“ beherrscht mehr oder weniger unser ganzes Leben. Dass sie sehr quälend sein können, wissen wir alle, und die meisten von uns meinen, man könne ihnen nicht oder nur dadurch entgehen, dass man „Buße“ tut, sich „entschuldigt“, Strafe akzeptiert oder sich vorsichtshalber so benimmt, dass sie gar nicht erst auftreten können. Zweifellos ermöglicht das ein relativ angenehmes und risikoarmes Leben, doch gleichzeitig bedeutet es den weitgehenden Verlust der inneren Freiheit, der Selbstachtung und der Fähigkeit zur Selbstbestimmung.

Sobald (oder falls) wir dies erkennen, erwacht in uns der Wunsch nach Befreiung aus dem „Schuld-Sühne-Terror“. Dazu müssen wir uns aber zunächst darüber klar werden, dass Schuldgefühle wenig mit echter Ethik oder hoher Moral zu tun haben, sondern vor allem ein Ausdruck unserer Angst vor Ablehnung, Verurteilung und Bestrafung sind. Diese hat meist ihren Ursprung in der Kindheit, in der wir weitgehend hilflos der Willkür von Eltern und Erziehern ausgeliefert waren, die uns – notfalls mit Gewalt - zu „anständigen“, gehorsamen und gut angepassten Menschen erziehen wollten.

Übrigens hat auch unser „gutes Gewissen“ etwas mit dieser Angst zu tun: es besteht ja vor allem in der  Erleichterung darüber, dass wir durch Wohlverhalten eine Bestrafung vermieden haben. Denn genau wie in der Kindheit gilt auch heute noch: wenn wir nicht die uns vorgegebenen moralischen oder praktischen Regeln einhalten, wenn wir nicht wohlerzogen und „anständig“ sind, nicht verzichten, uns nicht anpassen oder uns selbst verleugnen, werden wir in irgendeiner Form verfolgt und bestraft – körperlich, sozial oder emotional. Daher fürchten viele Menschen ständig , Fehler zu machen oder Schuld auf sich zu laden, leiden unter schlechtem Gewissen und verurteilen sich selbst für etwas, was sie taten oder was sie sind.

Es gibt zwei Möglichkeiten, Schuldgefühle zu vermeiden. Die eine besteht darin, dass wir uns davor hüten, aus der Reihe zu tanzen oder kritisch zu sein und bereitwillig alles tun, was von uns erwartet wird, selbst wenn wir es sinnlos oder falsch finden. In diesem Fall arrangieren wir uns realistisch mit den „moralischen“ Regeln und Dogmen, nehmen alles nicht so ernst und mogeln uns irgendwie durch. Da dies aber Feigheit, Selbstverleugnung, Unterwerfung, Heuchelei oder Unehrlichkeit voraussetzt, die wiederum Frustrationen, Niedergeschlagenheit oder Selbstverachtung nach sich ziehen, ist die andere Möglichkeit letztlich die bessere, wenn auch bedeutend mühsamere: Wir bemühen uns, nur so zu handeln, zu denken und zu sprechen, dass wir es vor uns selbst verantworten können und ein gutes „Seelen-Gefühl“ haben. Denn unsere Seele will ja immer nur die Wahrheit. 

Worin auch immer unsere Lebensbedingungen bestehen: wenn wir unsere innere Freiheit, unsere Selbstachtung und unsere Eigenverantwortung bewahren (oder wiederfinden), gibt es keinen Grund für Schuldgefühle oder ein „schlechtes Gewissen“. Denn die wirkliche Moral liegt in uns selbst, und wir sind letztlich niemandem außer uns selbst Rechenschaft schuldig. Das echte Gewissen, nämlich unsere innere Stimme, sagt uns, wie wir handeln und welchen Lebensweg wir einschlagen sollen.

(Thema von Floriplex Nr2)

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