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Versöhnlichkeit

 

Was ist besser? Sich zu beschweren oder zu akzeptieren, Vorwürfe zu machen oder großzügig zu sein, zu verurteilen oder Verständnis zu zeigen, abzulehnen oder zuzustimmen, Rache zu nehmen oder zu verzeihen? Zugegeben: diese Frage ist tendenziös, und es gibt wahrscheinlich viele Menschen, die es absurd fänden, wenn Unrecht nicht gesühnt und Fehler nicht verurteilt würden. Denn wir sind von klein auf daran gewöhnt, die Welt durch die Brille einer Moral zu sehen, deren wichtigstes Element Schuld und Strafe sind.

Wir sprechen von Schuld, wenn jemand die Regeln verletzt, die wir ihm – teilweise in angemaßter Vertretung „Gottes“ - gegeben haben, oder ganz allgemein, wenn die Dinge anders laufen, als wir es wollen. Dann beschuldigen wir das Wetter, den Computer, die Regierung oder die Ärzte, wenn es nicht so läuft, wie wir es erwarten. Immer ist ein anderer „schuld“, wir selbst aber praktisch nie. Solche Schuldbehauptungen sind zwar, für sich allein genommen, harmlos. Sie nehmen aber sofort einen bösartigen Charakter an, wenn sie mit einer moralisch begründeten Bestrafung verknüpft werden, und verleiten uns dann zu niederträchtigem, menschenunwürdigem Verhalten. 

So halten wir uns für berechtigt, wenn uns jemand ein Leid zugefügt oder ein „Unrecht“ angetan hat, ihm ebenfalls Leid zu bereiten - nach dem primitiven Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dabei hoffen wir - übrigens vergeblich -, dass durch das Leid des anderen unser eigenes geheilt werde. Und weil in unserem Weltbild Schuld und Strafe untrennbar zusammengehören, meinen wir, die Welt gerate in Schieflage, wenn eine „Untat“ ungesühnt bliebe. Tatsächlich aber haben sowohl die Weltgeschichte als auch unsere eigenen Erfahrungen immer wieder Buddhas Frage bestätigt: Wenn der Hass dem Hass antwortet, wann soll der Hass aufhören?

Die „beleidigte Leberwurst“ zu spielen, andere zu verurteilen oder sich für vermeintliches Unrecht zu rächen, bringt zwar manchmal einen momentanen, oberflächlichen Linderungseffekt für unsere negativen Emotionen, erzeugt aber letztlich einen verderblichen Lebenstrend, in dem es wie in einem Teufelskreis genau auf diesem Niveau immer weiter geht.

Wir müssen uns stets darüber im Klaren sein, dass jeder Mensch in dem Augenblick, in dem er etwas tut, dieses richtig oder unumgänglich findet und sich selbst im Recht fühlt, auch wenn es aus der Sicht andere Menschen verwerflich erscheint. Das können wir genau bei uns selbst beobachten. Da also niemand, subjektiv gesehen, „schlecht“ handeln kann, sind im Grunde alle Vorwürfe und Beschuldigungen, die wir mit unserer eigenen Moral begründen, nicht nur unberechtigt, sondern auch kontraproduktiv. Denn sie werden vom Beschuldigten als Unrecht empfunden und erzeugen je nach dessen Veranlagung entweder eine Gegenaggression oder eine hasserfüllte Unterwerfung. 

In der Bibel findet sich zu dieser Problematik eine der wichtigsten, fortschrittlichsten und humansten Ideen des Christentums: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!  

Vergessen wir nicht: „nobody is perfect“!

Thema von Floriplex Nr.15

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