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Entschuldigung

Schuld zu haben bzw. schuldig zu sein ist unangenehm, denn Schuld bedeutet Strafe. Wenn man bedenkt, wie oft wir über Schuld sprechen und wie oft wir uns entschuldigen, erkennt man, wie sehr unser Leben von der Furcht vor ihr beeinflusst wird. Sie ist normalerweise die Folge eines Verstoßes gegen Gesetze, Regeln oder Forderungen, die das ungestörte Zusammenleben in der menschlichen Gemeinschaft garantieren sollen. Schwere Verstöße gegen Gesetze können empfindliche Strafen nach sich ziehen – im Extremfall die Todesstrafe oder Gefängnis -, leichtere Übertretungen werden lediglich mit Maßnahmen, die das Wohlbefinden und die Lebensfreude beinträchtigen, bestraft, und ganz leichte kann man selbst durch eine Entschuldigung neutralisieren. Diese kommt in unserem täglichen Leben so häufig vor, dass es sich lohnt, sie einmal genau zu betrachten.

 

Durch eine Entschuldigung versuchen wir, die unangenehmen Folgen (gewissermaßen die „Schuld“) eines Fehlverhaltens zu verhindern - zum Beispiel, dass wir jemanden angerempelt oder beleidigt haben. Damit können wir allerdings nur die Beurteilung des fraglichen Tatbestandes beeinflussen, nicht aber die Tatsache, um die es geht. Man sagt: „Bitte entschuldige!“ und entfernt damit gewissermaßen das Etikett „Du bist schuldig!“, das jemand (oder wir selbst) darauf geklebt hat. Damit ist in leichten Fällen alles wieder in Ordnung und die „Schuld“ getilgt. Auf diese Weise können wir übrigens mit den meisten Problemen gut leben, indem wir ihnen einfach einen positiven Namen geben. So wird zum Beispiel im Krieg die Tötung von Menschen zur guten und schuldfreien Tat, weil man sie mit dem Etikett „Schutz und Recht“ versieht. Von schwerer Schuld können wir allerdings nicht durch Lippenbekenntnisse, sondern nur durch echte Reue erlöst werden, die in einer grundsätzlichen Sinnesänderung besteht und dadurch eine Wiederholung der „Untat“ unmöglich macht.

 

Um eine Straftat vom moralischen Schuldvorwurf zu befreien, können wir sie entweder als ungewolltes Versehen oder Folge zwingender Umstände bezeichnen oder auch als Ergebnis einer falschen Erziehung deklarieren, für die wir, als Opfer, natürlich nicht voll verantwortlich gemacht werden können. Solche Gründe werden ja auch strafrechtlich berücksichtigt. Abgesehen davon ist es aber eine Tatsache, dass niemand etwas, was er für sich selbst als falsch und verwerflich erkannt hat, bewusst und vorsätzlich tun kann. Man hält das, was man tut, im Augenblick der Tat immer für richtig, unausweichlich oder moralisch erforderlich und ist somit subjektiv unschuldig. Das sollten wir, wenn wir jemanden beschuldigen wollen, nicht vergessen. Man kann aber trotzdem vor dem Gesetz schuldig sein, wenn es nach anderen Kriterien als der „Täter“ urteilt. Das zeigt wieder, wie relativ alles in unserem Leben ist und warum es gar nicht so selten zu ungerechten Urteilen kommt.

 

Hier wäre auch einmal die Überlegung interessant, dass auch die Annahme einer persönlichen Schuld eigentlich unsinnig wäre, wenn wir – wie in mancher Hinsicht die moderne neurologische Forschung gezeigt hat – davon ausgehen würden, dass wir keinen wirklich freien Willen haben und daher eigentlich auch nicht für unser Handeln verantwortlich sein könnten. Denn statt in freier Entscheidung und Verantwortung zu agieren (wie meist angenommen wird), reagieren wir in Wirklichkeit immer nur auf die inneren Impulse oder jene Eingebungen, die wir „irgendwoher“ (aus dem transzendenten Raum, dem „Universum“, Gott?) bekommen. Wir machen unsere Gedanken ja nicht selbst, sondern sie tauchen, genau wie unsere Ideen und Erkenntnisse, von „irgendwoher“ auf, und unser Gehirn dient ihnen nur als Werkzeug der Bewusstwerdung. Die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik bringen uns dieser Sichtweise näher. Es ist ja unstrittig, dass es übergeordnete „Kräfte“ gibt, die unser Leben in Form eines sinnvollen oder zufälligen Schicksals beeinflussen und die somit eigentlich die Verantwortung für alles haben, was wir tun und was uns zustößt. Natürlich (oder leider?) passen solche ungewohnten Überlegungen nicht in unsere normale Welt, denn sie kollidieren mit unserer Rechtsordnung, in der das Schuld-Strafe-Denken eine wichtige Rolle spielt.

 

Wir dürfen nicht vergessen: Nichts ist von sich aus schlecht oder gut, sondern alles ist grundsätzlich wertneutral und bekommt erst durch unser Urteil seine positive oder negative Bedeutung. Sobald man einen Tatbestand mit dem Begriff Schuld verknüpft, wird er – ob zu Recht oder zu Unrecht - moralisch verdorben und kann theoretisch nur durch eine Korrektur dieser Bewertung wieder positiv wahrgenommen werden. Eine solche Rehabilitation ist dann möglich, wenn erkannt und anerkannt wird, dass es sich bei dieser Schuldig-Sprechung um einen Irrtum, ein Missverständnis oder Bösartigkeit handelt oder wenn sich die offizielle Moral, die den Schuldbegriff definiert, ändert. Sie bestimmt ja, was erlaubt oder verboten ist. Wenn man aber genau hinsieht, so erscheint fast alles in unserer Welt „schuldbeladen“. Alle Lebewesen einschließlich des Menschen töten, berauben, belügen, misshandeln oder fressen sich gegenseitig auf und nur durch eine positive Sichtweise wird unsere Welt schön oder wenigstens erträglich. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“! Wir müssen also immer prüfen, ob eine Tat, die wir reflexhaft mit Schuld gleichsetzen, dies auch wirklich ist, beziehungsweise ob sie es bleibt, wenn wir den ihr zugrundeliegenden Moralcodex in Frage stellen oder ablehnen.

 

Entschuldige dich nicht, weil es so üblich ist, (übrigens kann man sich nicht selbst von der Schuld freisprechen, das könnte nur die leidtragende Person), sondern nur, wenn du dich wirklich für schuldig hältst bzw. wenn dir dein Verhalten tatsächlich leidtut. Die verbreitete Gewohnheit, sich bei jeder unbedeutenden Bagatelle zu entschuldigen, ist meistens nicht mehr albernes Geschwätz und entwertet die Idee einer befreienden Reue. Besser wäre es, einfach darüber zu lachen. Wenn überhaupt, könnte man sagen „Bitte beschuldige mich nicht!“ statt „Bitte entschuldige“, weil das ja eine Beschuldigung voraussetzen würde. Genau genommen hat aber kein Mensch das Recht, einen anderen zu beschuldigen, weil jede/r es immer so gut macht, wie er/sie kann. Besser ginge es in dem betreffenden Augenblick nicht, auch wenn wir das anders sehen. Außerdem wissen wir doch: «Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.»

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