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Hans im Glück

Als „Hans im Glück“ seinen in siebenjähriger Arbeit erworbenen Klumpen Gold zunächst für ein Pferd, dann für eine Kuh, dann für ein Schwein, dann für eine Gans und schließlich für einen Mühlstein eintauschte, war er jeweils nach anfänglichem Vergnügen sehr schnell missvergnügt und enttäuscht. Erst als den er den Stein aus Unachtsamkeit in einen Brunnen fallen ließ und danach nichts mehr besaß, wurde er glücklich.

Dieses Märchen erinnert uns an die Problematik des Besitzens, das wie die bekannte Medaille zwei Seiten hat: eine positive und eine negative.

Immer wenn du etwas (eine Sache oder auch einen Menschen) liebst, besitzt, erwirbst, verdienst oder stiehlst, gehst du eine Beziehung dazu ein. Beziehungen aber beruhen immer auf Gegenseitigkeit, auf Nehmen und Geben. So kann dir Besitz auf der einen Seite Vergnügen, Selbstvertrauen und Sicherheit geben, auf der anderen Seite aber Pflichten, Probleme und Sorgen.

Daher: Was du besitzt, das besitzt dich, und je mehr du davon besessen bist, desto mehr verlierst du deine Freiheit.

Ob Hans die richtige Wahl getroffen hat, indem er sich immer sogleich von seinem Besitz trennte, wenn dieser nicht seinen Erwartungen entsprach, ist eine Frage, vor der in ähnlicher Form auch wir immer stehen. Ob etwas, das wir besitzen uns erfreut oder uns enttäuscht, liegt ja primär an uns selbst und unserer Sichtweise. Deshalb sollten wir, wenn wir etwas besitzen wollen, immer genau überlegen, ob wir – abgesehen vom erwarteten Vergnügen - bereit sind, von ihm besessen zu werden und auch die eventuellen Nachteile zu akzeptieren. Und bevor wir uns von einem Besitz trennen, ist es sinnvoll, die möglichen Nachteile gegenüber den Vorteilen abzuwägen, denn in unterschiedlicher Ausprägung sind immer beide vorhanden.

Hans im Glück ging in seiner schlichten und kurzsichtigen Denkweise auf Nummer sicher und verzichtete wegen der momentanen Nachteile auch auf die möglichen Vorteile seines Besitzes. Dadurch fühlte er sich in diesem Augenblick frei und glücklich – doch wer weiß, für wie lange? Für alles gibt es ja das richtige Maß: zu viel ist genauso schädlich wie zu wenig. Immer gilt es, die für uns richtige Balance zu finden. Vielleicht wäre für Hans ein bisschen Besitz auf Dauer doch besser gewesen, denn es macht zwar, wie der Philosoph Diogenes meinte, glücklich, auf Überflüssiges zu verzichten, nicht aber auf alles.

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Eigenes Wohlergehen

Mitleid zu haben, gilt üblicherweise als hohe menschliche Tugend, weil es Achtsamkeit und Hilfsbereitschaft bedeutet. Und das Gefühl, von mitfühlenden Menschen im Unglück nicht allein gelassen zu werden, ist sehr wichtig für uns. Über diesen positiven Aspekten des Mitleids vergisst man jedoch oft, dass es auch eine negative Seite hat. Diese ergibt sich aus dem Begriff selbst, in dem sich das Wort „Leid“ findet.

Der moralische Sinn des Mitleids liegt darin, dass man jemandem hilft, sein Leiden zu überwinden, indem man daran persönlich Anteil nimmt. Diese an sich begrüßenswerte Einstellung hat aber den entscheidenden Fehler, dass man nicht mehr effektiv und frei helfen kann, weil man ja jetzt selbst leidend und hilfebedürftig, ist. Diesen negativen Effekt wagen wir uns allerdings meist nicht einzugestehen, weil wir von klein auf moralisch zum Mitleid verpflichtet wurden. Deswegen erkennen wir auch nicht, dass es hier in Wirklichkeit um etwas anderes geht, nämlich um Mitgefühl.

Mitgefühl bedeutet, dass wir bereit sind, unsere Mitmenschen fühlend wahr- und anzunehmen und ihnen, wenn nötig aus ihren Problemen oder Leiden heraus zu helfen – allerdings, ohne uns selbst davon anstecken zu lassen. Dabei müssen wir jedoch immer bedenken, dass wir uns nicht wirklich in einen anderen Menschen hineinversetzen können und dass deshalb immer die Gefahr besteht, dass wir nur unsere eigene Gefühlswelt auf ihn projizieren. Im Umgang mit leidenden Menschen ist also neben dem Mitgefühl eine gewisse Selbstdisziplin und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber erforderlich.

Das gilt vor allem für jene Menschen, die von so starkem Mitleid mit anderen Menschen beherrscht werden, dass sie,  weil jetzt selbst leidend, unfähig werden, vernünftig und selbstbezogen zu denken und zu handeln - abgesehen davon, dass sie auch keine Lebensfreude mehr empfinden und an ihr eigenes Wohl denken können. Dieses Dilemma wird meist dadurch verstärkt, dass sie aufgrund übertriebener und unbegründeter Schuldgefühle die natürliche Sorge für das eigene Wohlergehen für verwerflichen und unerlaubten Egoismus halten. So fühlen sie sich dauernd zwanghaft von tatsächlich oder vermutlich leidenden Menschen (oder anderen Kreaturen) angezogen und „belästigen“ andere oft ungebeten durch ihre Hilfe oder opfern sich selbst ungefragt für sie auf.

Ein solches Verhalten ist zwar menschlich wertvoll, zugleich aber auch problematisch, weil ihm das richtige Maß fehlt. Wer sich zu viele Sorgen um andere macht, kann sich nicht mehr um das eigene Wohlergehen kümmern, das genauso wichtig ist, und wird dadurch schließlich unfähig, wirkliche Hilfe zu leisten. Und wer sich ungebeten oder übertrieben helfend oder sorgend in das Leben anderer drängt, tut ihnen letztlich nichts Gutes, weil dadurch ihre Eigeninitiative und Kreativität behindert werden.

Ein Sprichwort sagt: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“. Jeder Mensch kennt dieses beglückende Gefühl, wenn er sein Problem ohne fremde Hilfe und aus eigener Kraft gelöst hat. Es ist ein Ausdruck von Weisheit und persönlicher Integrität, mitzufühlen, ohne mitzuleiden, und zu helfen, ohne hilflos zu machen.

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